Archiv des Autors: Ralph Kull

Oszillationen

Warum kann ich Beethoven hören, ohne mir Gedanken über seine Zeit machen zu müssen? Bei Lyrik oder Prosa gelingt das nur bedingt, denn natürlich ist Musik immer ein Ereignis in der Zeit. Das Wort muss gelesen, transformiert, encodiert werden.
Das Narrativ in der Musik ist eher klein, wird aber gebraucht um grössere Bogen zu spannen(, wie bei der Pastorale). Wo diese Ebene aufgegeben wird, zerfällt das duale Prinzip von Realität und Interpretation, wird ersetzt durch emotionale Eindrücklichkeit, bis zum Geräusch, wird konkreter.
Aber letztlich geht mir konkrete Kunst auf den Senkel und doch, für Malerei ist es der halbe Weg. Sehe ich einen Rembrandt, ist das Eingebettetsein in den kunsthistorischen Kontext eher die letzte Ebene über die ich nachdenke, aber bis ich bei Flauberts Roman ‚Madame Bovary‘ über 1857 hinaus gelesen habe, dauert es. Zitat Wikipedia: […] gilt als einer der großen Werke der Weltliteratur aufgrund der seinerzeit neuartigen realitätsnahen Erzählweise‘. Ja was nun? Heute nicht mehr neuartig, ist er nur noch für Historiker gut? Vergegenwärtigt stehe ich vor dem großen Bild ‚Kämpfende Hirsche oder Brunft im Frühling‘, 1858/1859 von Courbet: Malerei, die sich weit über dem Ereignis einer großbürgerlichen Szenerie erhebt.
Gute Malerei ist Befreiung, Offenlegung des ästhetischen Gitters, das ging mindestens bei Rembrandt los. Auch davor wurde dieses Gitter angelegt, nur war es ein ideales, von der Form, vom Objekt her gedachtes – durchaus mit grandiosen Ergebnissen. Mir geht es in erster Linie nicht um das Feld, sondern um die Furche: ein Feld entwickelt sich durch die Setzung von Strichen (wie bei van Gogh), wird zur Form, zum Bild. Hierarchisch völlig unterschiedliche Ansätze.
Zwei, drei Striche sind schon ein Gesicht, eine Tür, Berg oder Galgen. Das Eigentliche bleibt außen vor, stellt sich als Referenz ein. Nun verhält sich der Strich zum Mitgedachten wie zum Feld, das wäre die Oszillation, das Schwingen zwischen Bestimmung und Konkretion, vielleicht wie das leise Summen eines Bildes bei Karl Heinrich Greune. Mehr ist da nicht, aber das ist schon viel, in einer Zeit, da Malerei sich immer wieder neu behaupten (den Kopf aufsetzen) muss. Das Bild selbst wird zur offenen Schöpfung (aus der großen Suppe heraus), ist nicht mehr Repräsentant von etwas anderem, obwohl es vom Wesen außerhalb Zeugnis ablegt.
Auf der Grenzfläche wird immer neu eingeschrieben, was die Form beinhaltet, nur ist diese Grenze eher eine Membran, auf die projeziert wird, bei einem Bildwerk können wir nun aussuchen von welcher Seite aus es betrachtet werden soll.

KEINEN KRIEG !

 

… schon in der Wortwahl der aktuellen Berichterstattung entsteht ein Narrativ, dass es auch einen sauberen Krieg geben könnte. Den gibt es nicht! Die Genfer Konvention ist nur das letzte Handtuch zum Verdecken menschlichen Greuls.
‚Bis hier und nicht weiter‘, nur wo sind wir dann schon. Wenn sich eine Bevölkerung mit Frau, Mann und Maus gegen einen Angriffskrieg stemmt, werden unweigerlich Zivilisten getötet. Vielleicht liegt der Unterschied bei umgebracht, ermordet, gegenüber Kollateralschaden? In der Konsequenz jedoch gehen die Lichter aus – das sollte kein Zug unseres Wesens sein. Wir nehmen das Leben des Nächsten (Abel), des Anderen (Nachbarn), des Fremden, wir nehmen das Leben der Tiere zu Milliarden. Wir haben jegliches Maß verloren unsere Art zu behaupten und erfinden eine Erzählung, die das Töten in den Kanon des erweiterten menschlichen Umgangs stellt. Mir ist übel bei diesen Gedanken, und so gibt es beides: die Klavierkonzerte von Mendelssohn, Ravel, Schnittke versus Guernica, Babyn Jarr, Mỹ Lai, Butscha.
Ein Dilemma, denn jede Pistole im Schrank stellt eine potentielle Gefahr da. Aber sind die Schränke leer, kann man mit einem Nachbarn, der die Pistole schon im Halfter trägt nicht mehr auf Augenhöhe reden. Argumente verdunsten im Angesicht von 9 mm. Wohin also mit unserer innewohnenden Verzweiflung, dem Getrennt-Sein vom Ganzen, dem Leben im Widerstand, dem Ich und allem Anderen – als Erlösung zum Einen, in die Regression? Wie gesagt, Politik ist nur die Fortsetzung der Todessehnsucht mit anderen Mitteln.
Aua, und was macht das Kapital? Als Metasystem legt es sich um und über jede Entäußerung menschlicher Produktivkraft und Gestaltung, schreibt die Gesetze des Handels bis zum nächsten Kollaps des globalen Wirtschaftssystems, das immer wieder eine neue, nicht rationale, Spirale von Gewalt erzeugt. Selbstreinigung auf kapitalistisch und wie bei Hitler-Deutschland in soziopathischer Anlage.
Ende gut, alles gut? Eben nicht, denn die Regenerationsmöglichkeiten sind wesentlich beschränkter als ’45, wir haben Klima und Pandemie – selbstgemachte Leiden, die die gleichen Ursachen haben. Bei der Pandemie müsste man wohl etwas weiter ausholen, aber es ist immer das Selbe: Die Zwerge haben zu tief gegraben!

KEINEN KRIEG! NO WAR! НЕТ ВОЙНЫ!

Es trifft mich mit voller Wucht, hat sich durchgeätzt,
ein westlich orientierter Staat, mit demokratisch gewählter Regierung, verteidigt sich – allein. Gegen die Angriffe eines lupenreinen Demokraten, der sein ganzes Volk mit in die Verantwortung zieht – für sein Verbrechen. Natürlich, auf Dauer wird die Ukraine nicht zu verteidigen sein, wir wollten das hinaus verhandeln – wird schon. Es wurde nicht.
Und nun diese halben Sanktionen, das Kalkül geht auf, dass der Westen sich nicht mehr schadet als nötig. Dabei kommt die Ukraine unter die Räder. Das es keinen anderen Weg gibt, scheint folgerichtig, leider, unser Zeitalter verabschiedet sich mit einem Paukenschlag.
1974/75 diente ich in der Bundeswehr (Heer), es standen 36 Brigaden unter Waffen, heute umfasst das Heer noch drei Divisionen mit insgesamt 10 unterstellten Brigaden*, wovon 3 zusammengewürfelt einsatzfähig sind. Tut mir Leid, so können wir nicht nachhaltig verhandeln. Es wird ein europäisches Konzept militärischer Strategie geben müssen, das eng mit der NATO verknüpft sein dürfte, Souveränitäten sind zu überdenken.
Und es sind viele Löcher am rechten (und linken) Rand zu stopfen, es ist unfassbar, dass die internationale Rechte einem Soziopathen huldigt, der eine vermeintliche Entnazifizierung vornehmen will.
In der Ukraine werden freiheitliche Werte verteidigt, sie sind nicht in der EU, nicht in der NATO, kämpfen – genießen unsere Solidarität. Zweifelsohne stellt das einen Wert da, aber es ist auch eine Bankrotterklärung des Humanismus – der Wurzel der Demokratie, einer Staatsfrom, der schon immer bestätigt wurde, dass sie die schlechteste sei, ausgenommen aller anderen.

* (davon 2 niederländische Brigaden sowie dem deutschen Anteil an der Deutsch-Französischen Brigade) und dem Kommando Spezialkräfte (KSK) als Brigadeäquivalent.

Kleine Klage zum Ende

trauern wir ihm nicht nach, dem deutschen Jahrhundert.
Es war nicht das Erste, wohl aber vorerst das Letzte. Mit zwei Weltkriegen, der Shoa und einer unwahrscheinlichen Kraft sich zu regenerieren.
Nun ist’s vorbei.
Das Kapital, in seiner ersten Blüte (England), hat nach der Revolution 1917 und einer weiteren Verelendung der Massen in den Industrieländern mit Deutschland sein hässlichstes Gesicht gezeigt. Nichts was relativiert werden soll, der Nationalsozialismus ist auf deutschsprachigen Boden gewachsen. Das Herleiten über den verlorenen ersten Weltkrieg, den Kontinental-Europa ganz sicher gemeinsam begonnen hat, die einzige Schuld aber beim Erbfeind abzuladen, hat natürlich alle Tore geöffnet, um von einer Entzündung eine Eiterbeule werden zu lassen. Wenn dann noch die SPD zu keiner Quarantäne bereit war, weil sie mit der KPD hätte stimmen müssen, frisst sich das Virus durch. Mit der Unterstützung des großen Kapitals konnte man bald damit leben, bis es den ganzen Körper übernommen hatte.
Die bloßen Zahlen für Europa, 2. Weltkrieg:
27 Millionen Tote der Sowjetunion (Soldaten und Zivilisten)
6–7 Millionen Tote beim organisierten Tod des jüdischen Lebens
6 Millionen Tote Polen
und viele viele Millionen mehr
Das diese Völker überhaupt noch mit uns reden, ist mir oft unverständlich und erfüllt mich mit Scham. Ich kann verstehen, wenn man Wagner nicht spielen, oder hören will. Letztlich wird seine Musik zum Symbol, ist jedoch aus anderem Jahrhundert, war ’nur‘ die Musik zum Totentanz (wie auch Bruckner). Das es passte, war/ist sinnfällig; in ‚Über das Judentum in der Musik‘ wurde die ganze Anlage schon vorgezeichnet, die erste Hälfte des deutschen Jahrhunderts auf Verwesung gebaut.
Und immer noch nicht will man auf den Autobahnen 130 km/h als Höchstgeschwindigkeit einführen, wo bliebe da der Glanz, die besten Autos, nicht mit der gebotenen Straße zu unterstützen. Nun reichen ein Differential, Maschinen und deren Automatisierung nicht mehr. Deutschland ist zu langsam geworden!
Die Chinesen machen uns vor, wie Leben und Staat über Hilfe der Netzwerke verschmilzt. Das hat andere Qualität. War Europa (mit all seinen Ländern im Wechsel) über Jahrhunderte treibende Kraft der Entwicklung, wird das Land der Mitte mit seinem System der Symbiose von Staat und Individuum die Welt bewegen.
Fortschritt meint hierbei, sich Ziele zu stecken und sie auch zu erreichen, kein BER; die Wandlung des Systems zum Staatskapitalismus, der Auflösung des Individuellen, setzt beim chinesischen Volk Kräfte frei, weil es kulturell passt.
Auch der Nationalsozialismus hat gepasst, Zeit und Rahmen waren folgerichtig, um zu erreichen, was als Ziel gesteckt war – ab 1939 Unmenschlichkeit und Untergang.
Vielleicht ist es genau dieser nationale Wille, der mir bei manchen Staaten Bange werden lässt. Zu viele Parallelen, auf unsere Zeit übertragen: demokratisch totalitär. Meint das selbe wie Staatskapitalismus, ist im beiden Fällen nach außen die Quadratur des Kreises, nach innen nichts anderes als das hässliche Gesicht des Kapitals, nur mit Photoshop aufgehübscht.

interstellar

Erst seit kurzem wissen wir, dass es neben unserer Galaxie noch andere Galaxien gibt. Nicht unbedingt von der Hand zu weisen, dass der interstellare Raum nach 14 Mrd Lichtjahren endet, aber vielleicht nur eine weitere Universum-Insel neben vielen anderen ist? Keine Viele-Welten-Theorie, um der Quantenphysik aus der Patsche zu helfen, eher ein größeres Bild vom Werden und Vergehen.
Doch bleibt der kleine Haken des Geistes, der erkennt; oder eben auch der, der erschafft. Passiv aktiv – beides. Ein Kreislauf anderer Qualität. Dies zu relativieren, überwinden wir die Angst auf der Suche nach dem Anderen, uns selbst zu begreifen.
Völlig egal, ob wir einzig sind, auf welcher Stufe der Evolutionsleiter wir stehen, denn vielleicht ist das Universum nur ein Nest von Eiern, bei dem wir der Hahnensprung sind. Und wie bei den Eiern schlüpft nicht aus jedem ein Kücken, viel zu früh landen sie in der Pfanne. Wer steht bloß am Herd?

Warum der Glaube am Nagel hängt

Die drei Nägel im Fleisch und Knochen sind das Gleichgewicht, sind die Brücke, sind der Geist, sind der Tod von dem, der fragt: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Fragen muss, denn in diesem letzten Funken spricht der Mensch. Erst durch das Verlassen des Lebens und jeglichem Glauben steht er auf. Jesus wusste es nicht besser?, eher eine Präzedenz des dualen Spiels.
Die Auferstehung ist eine Behauptung der Hinterbliebenen, Dreh- und Angelpunkt christlicher Leere (ee, kein Fehler). Wunder werden erzwungen, der Glaube bewiesen, geht seinen eigenen Weg als Bestätigung der Gottwerdung über die Schwelle der Zeit hinaus.
Wie bekommt man das gerade gerückt? Gar nicht. Nur, dass man von dieser Zeit, an den Glauben glauben soll. Mit der Himmelfahrt entsteht ein Narrativ, institutionell nennt es sich Kirche.
So hat sich eine Repräsentanz gebildet, die diesen Vorgang verwalten will, Deutungshoheit gewonnen hat. Für die Völker eine Katastrophe. Am christlichen Wesen musste die Welt genesen, eine Welt, die keine Heilung brauchte. Es wurde ein vermeintliches Seelenheil konstruiert, ohne das man nicht ins Paradies kommen konnte. Immer noch besser ein im guten Sinn erschlagener Wildling (Ungläubiger), als dass er in der Hölle hätte schmoren müssen – eine Rechtfertigung, die einem erst mal einfallen musste.
Rettung im Paradies? Das Christentum (auch der Islam) brauchen die Läuterung im Szenario des Weltenbrandes. Je heißer und realer die Hölle, desto größer der Auftrieb. Eine Spur der Verwüstung, die sich durch die Täler des Geistes (und Landes) zieht.
Da ist keine Erlösung (auch nicht im buddhistischen Verstandestod = Stillstand der Interpretation = Nirvana), es gibt nur Akzeptanz und Handlung, die aus der inneren Notwendigkeit entspringt, jeden Moment das Beste zu geben und anzunehmen, dass man vor dem Gang aus dem Haus seine Schnürbänder richtig gebunden hat. Mehr ist nicht zu tun.
Ah, vielleicht noch den Kapitalismus abschaffen.

Wie in allen seinen lateinischen Messvertonungen lässt Schubert im Credo den Satz “Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam” (deutsch: „[Ich glaube an] die eine heilige katholische und apostolische Kirche“) aus, sowie – gleich mit fast allen anderen seiner lat. Messen (mit Ausnahme seiner ersten in F-Dur) – auch den Satz “Et expecto resurrectionem mortuorum” (deutsch: „Ich erwarte die Auferstehung von den Toten“), und gibt damit seinen ganz persönlichen Vorbehalten gegenüber bestimmten zentralen christlichen Glaubenssätzen Ausdruck.

Wikipedia: Messe Nr. 2 (Schubert)

Iteration (oder wie das Pattern in die Welt kam)

… wohl zuerst in der Architektur, die alten Tempel haben schon aus bautechnischen Gründen eine Rhythmisierung der gleichen Elemente. Das sich dies im Fries fortsetzte, war nur folgerichtig.
Das handgefertigte, immer wiederkehrende, Objekt ist unterschiedlich. Seit 26 Jahren lebe ich auf einem Perserteppich (keine Kinderarbeit), bei dem sich jedes Ornament wiederholt. Sei es die Farbe, die Form, der Abstand zum Rand, alles referiert den Nächsten, ist gleich und doch grundverschieden. Hier wird Handwerk zur Weltsicht!

Was wahr ist, war noch nie wirklich und wird es nie sein. Oha, bloß weiter, es geht nur um die kleinen, sich immer wiederholenden, Versatzstücke.
In der neuzeitlichen Musik viel mir dies zuerst bei Bruckner auf, in der sich wiederholende Taktintervalle, innerhalb einer Form, auf eine kontemplative Ebene verschoben wurde, die seinesgleichen sucht (8. Symphonie, 2. Satz). Die ganze Musik des Minimal ist davon angesteckt, dass es mich dort in die Langeweile treibt (Ausnahmen bestätigen die Regel: ‚in C‘ von Riley).
Losgelöste sich wiederholende Sequenzen ergeben Dekor, aber keinen Sinn. Denn anders, als beim islamischen Bilderverbot, übersteigt dabei nichts den inneren Zusammenhang, hat nur den Anschein des Meditativen, eines Mantras, ist schlechte Folklore.

An einigen Ecken füllen sich Räume der Bildenden Kunst mit solchen Schnipseln; ich stehe vor den Arbeiten und kann das Handwerk, im schlechten Fall die Mühen, schätzen. Mir fehlt die Inspiration im Verlauf, die nur auf das Ziel hingearbeitet eine begrenzte Fläche zu füllen.
Deutlich wird dies im Bezug zur gesellschaftlichen Relevanz. Das Pattern degradiert sich zur blassen Entscheidung, dem die innere Notwendigkeit fehlt. Das ahnbare Nächste ist schon gefüllt, die Sehnsucht befriedigt. Dies nutzt den Geist zu füttern, ohne ihm eigentliche Nahrung zuzuführen: Je weniger wir folgerichtig projizieren, desto kleiner wird der utopische Vorsprung eine Welt zu denken, in der Leben lebenswert ist.

Dann waren es Computerspiele (erste Ego-Shooter), die für ihre virtuellen Räume Hintergründe brauchten. Wie immer ist es eine Frage der Ökonomie, in diesem Fall die der Rechenleistung, die wiederholbare Tapetenschnipsel, auf Dreiecken, in den konstruierten Raum stellte. Davor die simple Einrichtung mit einigen Schaltern, fertig war eine Umgebung, welche den Aktionsradius des Users markierte. Das diese Engines heute immer kleinere Dreiecke, oder Polygone, berechnen können und daran ihre Muster hängen (Texture Mapping), macht die erzeugten Welten immer glaubwürdiger, bis hin zur Realitätsverschiebung.

Wie durch die Corona-Zeit?
Auf jeden Fall mit mehr Bedacht,
aber auch mit genauerer Analyse.
Und hoffentlich ist Homeoffice und Kurzarbeit bald vorbei, mich schaudert, wenn Kollegen zwischen 80–90 % ihres vorherigen Lohnes bekommen. Da kauft man sich seine Büttel für die nächste Betriebsratswahl. Krise ja, aber sie muss auch getragen werden, ein Staat hat nicht die Aufgabe, den Menschen alle Last von der Schulter zu nehmen – Grundsicherung unbedingt – eher sollte organisiert werden, dass alles reibungslos läuft. Gerade in diesem Bereich scheint man zu versagen, da stellt sich der Minister hin und versucht zu begründen, was nicht zu begründen ist. Annehmen der Verantwortung sieht anders aus.
Ich habe eine Lanze für diese Regierung gebrochen. Fehler passieren, aber dieses Volk wird seiner Verantwortung enthoben, mit dem Mantel der Demokratie versorgt, dass es immer so weitergehen möge – bitte wohin? Es gibt keine Löcher mehr zu stopfen (!der Flicken zerfällt), umdenken, anders Leben, als wenn es gut wäre, jedem Mensch ein Elektro-Auto unterzuschieben. Neue Konzepte, neue Lösungen, Modelle der Zukunft denken, das Jetzt als Utopie leben.
Wenn wir das nicht schaffen, gehen uns die Lichter aus – da kann Herr Nuhr schwafeln bis sich die Balken biegen, jede Greta ist mir lieber, als dieser Opportunist. Es ist genau diese Verwandtschaft, der empor gekommenen Neu-Bourgeoisen, die uns in die Scheisse reiten, die auf einem winzigem Berg Ski fahren wollen!
Welch eine Entwicklung die Welt doch genommen hat, jeglicher Klassenkampf konnte verdrängt werden, die Schwellenländer können das nicht stellvertretend übernehmen. Die historische Chance ist vertan. Revolution in Indien?, wer würde daran glauben, in China?, mein Gott, gerade dort ist der gesamte Aufbruch eines Volkes korrumpiert. Revision nannten wir das. Argentinien, Brasilien was soll dort entstehen? Die einzig mögliche Kraft zur Erneuerung steckt wohl in Europa, das diesen Mist auch verzapft und als Staatengemeinschaft die Möglichkeit hat, über den Tellerrand hinaus zu blicken. Die USA werden es nicht leisten, zu tief der innere Garben, zu verstrickt ins große Kapital. Außer, Kalifornien würde alle Ideen in die Praxis umsetzen, das machen sie für gewöhnlich nur, wenn es auch Geld bringt – aber wer will schon richtig arbeiten? Kalifornien-Land ist abgebrannt und es scheint, dass nicht unbedingt jedes Löschfahrzeug organisiert wurde, die Feuer zu löschen. Wer da an Lobbyismus glaubt, ist ein böser Schelm. Maikäfer flieg.
Vom Hölzchen zum Stöckchen.
An die eigene Nase fassen, nicht als Entschuldigung, sondern als Forderung es Morgen besser zu machen mit dem Einkauf, dem Müll, dem Wohnraum, der Kleidung, der Bewegung, dem Automobil, dem Alkohol, dem immer selben Klagelied.

Eine Gattung stirbt

Einer der letzten Musiker, die noch Symphonien schreiben ist Erkki-Sven Tüür, geboren *1959 (9 Symphonien).

Ich gebe mal 12 Jahre nach oben und unten vom Geburtsjahr, dann bleiben in seiner Generation: Glenn Branka *1948 (10) (schon speziell), Kalevi Aho *49 (17), Poul Ruders *49 (5), Manfred Trojahn 49 (3) (eher zur Oper denn Symphonie) und Carl Vine *54 (8). Von den jungen Søren Nils Eichberg *73 (3), Lera Auerbach *73 (4) und vielleicht Kevin Puts *72 (4).
Die Vätergeneration von Henze *26 bis Sylvestrov *37 muss ich dabei schon weglassen.

Natürlich fehlt da ganz entscheidendes in der Entwicklung der Orchester-Musik, ich wollte mich hier nur auf die Gattung Symphonie beziehen. Symphonik als Weltentwurf, ein Gebäude mit verschiedenen Etagen, dem Opus Magnum, Freude, Forderung und Fluch zugleich.
Als Gattung verbraucht, frage ich mich, wie damit umgehen, wie neues Leben einhauchen?
Was macht Tüür anders, was traut er sich, wie bekommt er es in den Griff?
Müssen denn alle die Oper schreiben, bei Trojahn ist es mir besonders aufgefallen, dass er sich nach der 3ten aus seiner neoromantischen Symphonik raus gewunden hat, um ‚gehaltvoller‘ zu werden. Gesang in der Symphonie ist doch möglich (bei Mahler geht’s los, Beethovens 9te lasse ich mal außen vor).
Oper ist die Flucht ins Gesamtkunstwerk, in die Inszenierung, und man muss schon reichlich Schilder aufstellen, oder durchtragen, damit das Publikum nicht romantisch glotzt. So wird am Gesang geschraubt, dass meine Hörschwelle locker überwunden wird. Man füllt das Geheimnis mit Wort und Bild, um eine Welt zu bauen, die mit reinen musikalischen Mitteln nicht mehr möglich scheint, oder wenn, als Cluster, bis von der Deutung nichts mehr übrig bleibt, außer das Material an sich. Um hier zu lenken, reicht nicht der Gesang, muss es gleich das Welttheater sein?
(Ich glaube, dass Wagners Adaption von Faschismus schon ähnliche Gründe hatte, Medien die umfassen, haben für mich den Geruch des Lullens (besser Zullens?), heute auf die Spitze getrieben durch 3D-Brillen und Personal Suits, es fehlen nur noch die Schläuche.)

Anders Tüür. Das liegt nicht zuletzt an seiner populären Arbeit „Von 1979 bis 1984 war er Komponist, Flötist, Keyboarder und Sänger des von ihm gegründeten kammermusikalischen Rockensembles ‚In Spe‘, das schnell zu einer der beliebtesten Rockgruppen in Estland avancierte“ [Zitat Wikipedia], da werden Rock-Elemente in neuen Zusammenhang gestellt. Die ‚ernste‘ von ‚populärer‘ Musik geerdet, bekommt einen anderen Klang (Symphonie No. 5).

Dann gibt es vieles Anderes, was sich sicher richtig im Verlauf der Musikhistorie darstellt, aber nicht mehr für die Seele. Die Vätergeneration schrieb das Kapitel weiter, bis mit der Polystilistik (schon im Werk von Mahler und Ives angelegt) bei Schnittke der Höhepunkt gefunden war, alle anderen danach haben sich Nischen gesucht (ich mag Silvestrov). Und Glass muss ich zugestehen mit Minimalsprache und der Repetition (dem Pattern), das Serielle auf neue Weise verarbeitet zu haben (ich mag’s nicht, außer der 8en). Schon in Bruckners 8en liegt die Verheißung der Moderne. Hier hat Musik, wie dann auch noch bei Glass, zu einer homogenen Formsprache innerhalb der Gattung gefunden.
Bei Mahler und Ives wird das Fragment bewusstes Stil-Element, ist großer Wurf der Spätromantik und Übergang zugleich. Die Moderne mit Schönberg, Webern, Berg, Scrjabin, Stravinsky schrieb keine (kaum) Symphonien. Die Überwindung Donaueschingens (Boulez, Ligeti und Lachenmann, etc.) brachte Henze auf den Plan. Im Osten Europas, entwickelte sich die Symphonie weiter, da diese Form am ehesten mit dem staatl. Sozialistischen Realismus kompatibel war, die Künstler fanden aber schnell Wege die Doktrinen zu unterlaufen, so entstand eine Doppelbödigkeit, ein ‚als ob‘, ein um die Ecke schreiben und die wiedergefundene Religiosität. Von da aus scheint es mir nicht mehr weit bis zu Tüür, vielleicht ist dann nur noch der Mystizismus von Messiaen unterzubringen. Bei dessen Turangalîla-Symphonie (1946-48) habe ich ein Déjà-vu (welches für mich bis zu Ives zurückreicht).

Mit Aho und Ruders ist Tüür eine Einzelerscheinung, die mit einer kompositorischen Struktur arbeiten, welche formal ihr Recht verloren zu haben scheint.
Natürlich fühle ich mich dem verwandt, meine Ideen in der bildenden Kunst sind ähnlich. Einstmals fortschrittliche bürgerliche Strukturen in ein Konzept des Unvertrauten, jedoch scheinbar schon gehörten, gesehenen, zu überführen. Und wie ich mir bei Puts unsicher bin, ob das wirklich ins Schwarze trifft, gilt das für mich genauso.
Diese ständige Unsicherheit bringt einen wachsamen Zustand, der alles auf den Prüfstand stellt. Der bei jedem homogenen Werk skeptisch ist, ob es sich nicht einschleichen will, in die unteren Sphären des Bewusstseins, um von dort aus den Weg freizugeben für ein interesseloses ErLeben. Ich weiß, dass dies das Herz erfreut, aber auf keinen Fall den Geist schärft, und ich glaube einfach, dass es unsere Zeit erfordert, den Auftrag des Bildenden (in der Kunst) wörtlicher zu nehmen, als er eigentlich gemeint ist.