Schostakowitsch die 2te

Nach der 1. Symphonie, dem Geniestreich eines Jugendlichen, ist die 2. von Schostakowitsch die für mich gerad‘ interessanteste. Hier wird versucht Form und Inhalt übereinander zu legen, aber die Folien passen nicht mehr, das Ausschreiten der Moderne kann nicht eingeholt werden. Schostakowitsch ist Patriot, aber kein Mel Gibson, sondern ein junger Mann (von 21!) der wusste, wie die Form über den Inhalt hinaus zu dehnen ist. So entstanden ‚Freiflächen‘, die anders als mit Doktrinsoße gefüllt werden konnten. Aus musikalischem Urnebel (im ersten Teil) erhebt sich die Erzählung der ‚glorreichen‘ Revolution (zweiter Teil). Auszuloten wäre (mein Verständnis reicht dafür nicht), wie weit er musikalisch voraus schaut; mir scheint, dass diese Symphonie viel zu wenig gespielt wird.
Sicher brauchen Völker Narrative, die das kollektive Bewusstsein füttern, aber sie brauchen auch Kultur. So gelingt es Schostakowitsch Strukturen zu platzieren, die vielleicht mit Existenz, aber nichts mit der Wahrheit zu tun haben. Neben dem Jubelschrei ‚Oktober, Lenin‘ verweisen sie auf das allgemein Menschliche, Geworfene, auf die Möglichkeit sich als Individuum entscheiden zu können, zu müssen? Auf diesem Etikett steht Gefahr für das gerichtete Denken.
Die 3. ein tonales Schwanken und die 4. der große Wurf, der nicht gespielt werden durfte.
Ein Loblied auf Musik der Sowjetunion?, eben weil wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten sollten.